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18.4.2024 : 7:04 : +0200

Weizhi DENG

Gesammelten Werke von Deng Weizhi Vorwort

       

                                            Deng Weizhi

 

 

Als wäre die Zeit vergangen wie eine Kerze, die zu schnell herunter brennt, weil sie vom Winde angefacht wird, so ist mir bewusst, dass dies mein letzter Lebensabschnitt ist.

 

Sich damit vertraut zu machen, dem Tod schon bald ins Auge sehen zu müssen, dass man sein ganzes Leben überdenkt, sich erinnert und ein Resümee zieht. Dabei fühle ich mich auf merkwürdige Weise sehr klein und unbedeutend wie ein unscheinbarer stacheliger Strauch. Seit meinem Aufbaustudium 1960 habe ich weder spektakulären Erfolg noch überragende Taten vollbracht. Eigentlich erscheint es mir, als hätte ich mich nur mit Schreiben beschäftigt. In meiner Kindheit arbeitete ich mit der Sichel, um damit Gras für das Vieh zu schneiden, denn Weizen oder Soja mähten andere.

 

Vor der Großen Kulturrevolution war der Hammer mein Werkzeug, als ich jeden Donnerstag in der Reparaturwerkstatt einer Fabrik arbeitete. Wenn sich der Meister ausruhte, war es an mir, den Schmiedehammer zu schwingen.

 

Es gibt keinen Tag im Jahr, an dem ich nicht schreibe; ich schreibe an 365 Tagen im Jahr.  Stets habe ich mich an den Rat meines wissenschaftlichen Mentors gehalten, der mir sagte, wie wichtig es sei, täglich zu üben und zu schreiben. Im Winter 1960 hatte ich mich der Bewegung „Fan Wu Feng“ angeschlossen und wohnte auf dem Land bei einem Mitglied der Kommune, in dessen Hütte es keinen Schreibtisch gab, und es war auch damals nicht erlaubt, für sich allein etwas zu schreiben. Es war sogar so, dass Schreiben suspekt war und man sich dem Verdacht aussetzte, man wollte für sich allein wirtschaften und stünde der Volkskommune feindlich gegenüber. Also schlich ich mich zum Friedhof, um dort unbemerkt von den anderen lesen zu können, sogar um laut zu lesen, egal, ob ein heftiger kalter Wind wehte, ob die Sonne brannte oder ob es in aller Frühe gerade erst dämmerte.

 

Schreiben brachte mir große Anerkennung, aber vor mehr als zwanzig Jahren auch große Schwierigkeiten, so dass ich nicht mehr mit der Veröffentlichung meiner Aufsätze rechnen durfte. Ich hatte mich schon damit abgefunden, einen Kiosk aufzumachen, um Bücher, Zeitschriften und Zeitungen zu verkaufen. Nie verließ mich jedoch der Wunsch, zu lesen und zu schreiben. Wenigstens ein einziges Werk hätte ich so gern veröffentlicht.

 

Warum war mir das Schreiben so wichtig? Sowohl während meiner Berufsausbildung als auch während meines Aufbaustudiums habe ich immer geschrieben, und der ständige Umgang mit dem geschriebenen Wort hat meine Neigung zum Schreiben über Jahrzehnte verfestigt. Als Theoretiker steigerte ich mich sogar zu der Ansicht, nur Schreiben zähle, alles andere sei ohne Wert.

 

Es ist zum Beispiel für einen Offizier einfach, seine Autorität und sein Ansehen zu nutzen, um einen Befehl sogleich ausführen zu lassen und so unmittelbar zu wirken, doch erscheint mir dies weniger attraktiv, als durch das Wort zu wirken, durch die reiche Vielfalt der Gedanken und Meinungen Erkenntnisse und Einsichten zu ermutigen, die weit mehr bewirken als die bloße Ausführung eines Befehls, auch, wenn dieser von einer untadeligen Respektsperson gegeben wurde. Erkenntnis scheint mir weit mehr zu sein, nämlich ein Weg zur Öffnung des Geistes, der dem Menschen vernünftiges Handeln überhaupt erst ermöglicht. Auch, wenn der Befehl eines hohen Offiziers gleich befolgt wird, so ist es doch nicht gesagt, dass seine Wirkung von Bedeutung oder von Dauer wäre. Auch, wenn ein Aufsatz hinsichtlich seiner Erkenntnisse überholt ist, so bleibt doch seine Wirkung immer noch mächtiger als ein ausgeführter einfacher Befehl. Vom Denken, von der Erkenntnis gehen eigene Kräfte und Wirkungen aus.

 

Die Einführung des Geldes war ein Schritt in der Entwicklung unserer menschlichen Zivilisation. Ohne Geld kann man wenig bewirken. Ein Hundert-Yuen-Schein überdauert, auch wenn er von einem Auto überrollt wird. Ein kleiner Aufsatz aber, obwohl er leicht zu zerreißen ist, kann doch die Menschen beeindrucken und in ihren Herzen etwas in Gang setzen, das durch Geld nicht zu erreichen ist. Es ist sicher übertrieben zu denken, nur Schreiben zähle, alles andere sei ohne Wert. Aber ich finde sicher Zustimmung, wenn ich sage, das geschriebene Wort sei mehr als Macht und Geld. So kann die beste Politik nicht ohne Geschriebenes auskommen, so wie auch die besten Theorien der Schriftform bedürfen, um sie zu verbreiten.

 

Wie die Altvorderen sagten: Man kommt in der Welt zurecht, wenn man schreiben kann. Von meinem damaligen wissenschaftlichen Betreuer lernte ich, alles genau zu beobachten. So fiel mir zum Beispiel auf, dass von den vielen Tierfreunden und Naturschützern in der Welt keiner den Wert der gemeinen Stubenfliege schätzte. So schrieb ich einen Aufsatz mit dem Titel „Revision des Urteils über die Stubenfliege“, denn diese produziert eine antibiotische Substanz, die es verdiente, auf ihre pharmazeutische Verwendbarkeit geprüft zu werden, was ich anregte. Ein anderes Beispiel: In Italien sah ich bei Straußenzüchtern, dass man den Tieren keine Möglichkeit gab, ihrer Natur gemäß den Kopf im Sand zu vergraben. Das erschien mir als ein sehr anschauliches Beispiel dafür, wie manche meinen, das Kopf-in-den-Sand-Stecken möglichst scharf kritisieren zu müssen.

 

Alles zu beobachten birgt aber auch die Gefahr in sich, sich zu verzetteln, beliebig die Themen zu wählen, im Oberflächlichen zu verbleiben, auch wenn es vielleicht angenehm zu lesen war. Vielleicht war das auch von Nachteil für meine Karriere, vielleicht ist  das auch ein Nachteil der „Gesammelten Werke von Deng Weizhi“. Als ich jünger war, las ich einen Text des berühmten Dichters Guo Moruo, der sich über die scheinbare Beliebigkeit seiner Themen im Nachhinein sehr grämte. Warum musste er dennoch daran festhalten?

 

Dazu muss man wissen, das während meiner Studienzeit an der Akademie für Sozialwissenschaften in Shanghai von 1960 bis 1962 ein eklektizistischer Theorieansatz vorherrschte. Wir sollten dazu befähigt werden, aus allen vorhandenen Wissenschaften die wichtigsten und für uns nützlichsten Elemente zu entnehmen, um diese ganz neu und besser zusammenzusetzen. Unser Sekretär Li Peinan, der von Lu Dingyi den Spitznamen „junger Karl Marx“ erhalten hatte, wollte uns zu umfassend gebildeten Geisteswissenschaftlern machen. Er maß der Rolle des Kritikers eine hohe Bedeutung zu, quasi der einer notwendigen Rolle im Stab der Offiziere. Bei der Analyse der Aktivitäten des Gegners käme es nämlich darauf an, unterschiedliche Sichtweisen zur Verfügung zu haben. Diese sollten wir liefern. Rektor Yang Yongzhi verglich den Eklektizisten mit einer Maschinenpistole, gezielter einsetzbar als schweres Geschütz. Prorektor Pang Jiyun erzählte einmal, wie der amerikanische Präsident einen seiner Kritiker ehrte, indem er ihm einen Neujahrsbesuch abstattete, was uns ermutigte. Außerdem hat uns unser Studienleiter den „Kanon der klassischen vier Bücher“ und die „Fünf klassischen Werke“ auswendig lernen lassen, und sogar „Die 18 Kapitel der Hu Jia“ , bis wir diese verinnerlicht hatten. Wir waren zwanzig Jugendliche, jüngere Akademiker, die ihr Leben dem Eklektizismus widmen, die uns vom Volk gegebene Verantwortung annehmen und dem Staat nützlich sein wollten. Der Einfluss des eklektizistischen Wissenschaftsansatzes, unter dem ich meine Forschungen begann, hat mich nachhaltig geprägt.

 

Später bewarb ich mich aus eigener Initiative um Mitarbeit beim Enzyklopädie-Verlag, was für mich unabdingbar war.

 

Während der Großen Kulturrevolution, von April 1971 bis 198 was ich fast zehn Jahre im naturwissenschaftlichen Bereich tätig, zuerst im Hintergrund, dann mit ganzer Überzeugung. Anfangs ging es mir um Sicherheit und um einen Berufswechsel, dann erkannte ich die Chancen, die darin lagen, Brücken zwischen den Fachgebieten zu bauen. Insofern habe ich durch die Beschäftigung mit der Naturwissenschaft sehr profitiert. Allgemein nimmt man an, dass Fachgebiete von einander getrennt sind; auf der Metaebene kann man sie jedoch zusammenhängend erkennen.

 

Das eklektizistische Denken ist mir in Fleisch und Blut übergegangen und somit zur täglichen Gewohnheit geworden. Die Vielfalt der Themen und verschiedene Blickwinkel machen Texte lebendig, anschaulich und interessanter. Sie regen den Leser mehr an und wecken ständig seine Neugier und sein Interesse. Vielfalt ist die Voraussetzung für Hybridisierung. Interdisziplinäres Herangehen bringt ganz neue Erkenntnisse. So ist es mir auch immer ein Anliegen gewesen, den Menschen weitere Denkräume zu öffnen und sie zu fruchtbaren Debatten zu ermutigen. Vielfalt sollte man nicht als unstrukturiertes Durcheinander abtun, obwohl es das zweifellos auch sein kann, aber damit beginge man einen fatalen Irrtum. Angesichts der außerordentlichen Veränderungen, die wir erlebt haben, möchte ich daran erinnern, dass wir das Wesentliche im Blick behalten müssen. Auch ein ausgeworfenes Fischernetz kann wieder eingeholt werden.

 

Nach dem Ende der Großen Kulturrevolution wurde China’s erste Fakultät für Sozialwissenschaften in Shanghai gegründet, die Fakultät für Soziologie auf dem Campus der Fudan Universität (jetzt Fakultät für Soziologie an der Shanghai Universität). Dort begann ich im Februar 1981 Familien-Soziologie zu unterrichten. Hier setzte ich mich für Themen- und Methodenpluralität ein. Das alte Prinzip „hier ein Hammer, dort ein Knüppel“ war offensichtlich unzureichend.

 

Die Sozialwissenschaft barg ein großes Potential, was nach Differenzierung und Vertiefung, nach interdisziplinären Betrachtungen und Herangehensweisen verlangt. UNESCO, die Organisation der Vereinten Nationen für Wissenschaft und Kultur, listet am Ende des 20. Jahrhunderts 110 Wissenschaftszweige der Soziologie auf. In den USA werden 120 aufgeführt. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts differenzieren die Kollegen der sozialwissenschaftlichen Akademie in Nanjing nach 170 Disziplinen. Wir sind einen langen Weg gegangen. Im Band „Kultur“ der „Sämtlichen Werke von Deng Weizhi“ geht es um Kultursoziologie; der Band „Erziehung“ befasst sich mit Erziehungssoziologie; der Band „Populärwissenschaft“ zählt zur Wissenschaftssoziologie, der Band „Medien“ zur Kommunikationssoziologie. Der Band „Teilnahme“ über Bürgerbeteiligung in Staats- und Verwaltungsaktivitäten gehört zur Politiksoziologie und folgt dem evidenzbasierten methodischen Ansatz der Partizipation. Die Bände „Portraits“ und „Erfahrungen“ sind ebenfalls vom soziologischen Standpunkt aus geschrieben. In den Bänden „Prosa“ und „Rezensionen“ finden sich vielleicht keine klugen Forschungsergebnisse, aber Kommentare zu gesellschaftlichen Erscheinungen von zeitgeschichtlichem Wert. Alles in allem befinden sich in den Bänden Bezüge auf sämtliche Wissenschaftszweige. In den Medien wurde ich als Soziologe bezeichnet. Dies erfüllt mich mit Stolz, wenn ich auch die Ehre nicht verdiene, meine Kenntnisse diesen Begriff nicht rechtfertigen, und auch meine Haltung dessen nicht wert ist.

 

Seit einigen Jahren, seit der Öffnung, habe ich einige Aufsätze schreiben können, die als richtig gelten dürfen. Davor bin ich unter den vorherigen Bedingungen auch schweren wissenschaftlichen Irrtümern  erlegen. Es soll hier nichts beschönigt werden: Man hätte unter der „falschen Politik“ auch gute Aufsätze schreiben können, wie auch selbstverständlich unter der „richtigen Politik“ wertloses und falsches Geschreibe stattgefunden hat. Im Jahr 2008 wurde mit der Herausgabe der „Gesammelten Werke von Deng Weizhi“ begonnen. Darin wurden auch die zum Teil bisher unveröffentlichten Aufsätze aufgenommen, die aus heutiger Sicht als reine Propaganda und Ruhmeslieder auf die Volkskommunen gelten müssen. Es wäre persönlich und wissenschaftlich unredlich gewesen, diese Aufsätze nicht zu veröffentlichen. Sie gehören dazu. Ich habe andere dafür kritisiert, dass sie ihre Fehler verschweigen, sich aber für ihre Verdienste loben lassen, darunter auch von mir hochgeschätzte Gelehrte. Diese waren es nämlich auch, unter deren Einfluss wir als ganz junge Leute Thesen vertreten haben, die heute kaum mehr nachvollziehbar sind. Daher können sie nicht so tun, als seien sie gar nicht dabei gewesen. So ist mir mein gutes Gedächtnis manchmal zur Last geworden; manches hätte der Mantel des Vergessens bedecken sollen. Je mehr Schwächen und Fehler von hochrangigen Gelehrten unter den Teppich gekehrt und verschwiegen werden, umso mehr erinnere ich mich an sie. Es geht nicht darum, ihnen Fehler endlos vorzuhalten, sondern darum, Fehler als einen Teil des Weges zur rechten Erkenntnis anzusehen, damit der Leser Entwicklungen nachvollziehen und daraus lernen kann. Das ist ganz im Sinne des historischen Materalismus. Auf eine Verletzung folgt Heilung, auf einen Irrtum Erkenntnis.

 

Wenn ich etwas verlor, habe ich micht nicht beklagt; wenn ich etwas nicht erreichte, habe ich anderen ihren Erfolg nicht missgönnt. Was mir nicht zustand, habe ich nicht verlangt. Worauf ich aber Wert lege, ist, dass mein einziger wirklicher Reichtum aus meinem Werk im Umfang von 11 Millionen Schriftzeichen besteht. Ich habe mir gewünscht und freue mich sehr, dass es nun in Gänze veröffentlicht wird.

 

Das Herz und auch das Gewissen sind wie eine Waage. Jeder meiner Leser, gleich wo ihm meine Texte auch begegnen, hat seine eigenen Ansichten und Werte. Die Fehler, die wir gemacht haben, und auch das, was wir richtig gemacht haben, können die Geschichte nicht mehr ändern. Wir sollten diese Tatsachen den Lesern zugänglich machen und zumuten. Deshalb möchte ich diese Sammlung meiner Werke vollständig vorlegen.

 

Wissenschaft ist allumfassend; deshalb sollte es für die Wissenschaften keine Begrenzungen geben. Wenn die vorliegende Sammlung aus zwei Gründen doch nicht vollständig ist, dann liegt es daran, dass einige Artikel nicht mehr aufgefunden werden konnten, und sicherlich daran, dass ich auch weiterhin schreiben werde, solange es irgend möglich ist.

 

Ich sei im Sternzeichen Buch geboren, so wurde einmal geschrieben. Vielleicht kann man das Leben mit dem Prozess des Schreibens vergleichen; jedenfalls hoffe ich, schreiben zu können, solange ich lebe.

 

Ich wünsche mir, dass die vorliegende Sammlung, die Irrtümer nicht verschweigt und das, was Gültigkeit hat, präsentiert, meine Leser zu vielerlei Diskussionen anregt.

                                           

                              Übersetzerin: Cheng Lijiang               Revisoren: Inge Becker